Gesellschaftsrecht BGH bestärkt Minderheitenschutz im faktischen Konzern

Stimmverbot des herrschenden Gesellschafters bei der Einleitung von Organhaftungsansprüchen in der beherrschten Gesellschaft

Minderheitsgesellschafter sind dem Mehrheitsgesellschaft nicht schutzlos ausgeliefert.

Ausgehend von der Idee, dass ein Gesellschafter nicht  „Richter in eigener Sache“  sein soll, normiert das Gesetz in § 47 Abs. 4 GmbHG oder § 136 Abs.1 AktG bereits gesetzliche Fälle von Stimmverboten in Gesellschafterversammlungen von Kapitalgesellschaften. Bei der Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Gesellschafter oder Aktionäre sind diese auch dann nicht stimmberechtigt (§ 47 Abs. 4 GmbHG, § 136 Abs.1 Satz 1 AktG), wenn es sich um einen beherrschenden Gesellschafter handelt.

Haftung bei Pflichtverletzung des Vorstands einer Aktengesellschaft bei Handeln zugunsten des herrschenden Gesellschafters

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun in seiner Entscheidung vom 28.11.2023 Az. II ZR 214/21, ein Stimmverbot des herrschenden Gesellschafters auch dann angenommen, wenn über die Geltendmachung von Haftungsansprüche gegen Organmitglieder (hier Vorstand und Aufsichtsrat) der abhängigen Gesellschaft Beschluss gefasst wird und die vorgeworfene Pflichtverletzung auf Veranlassung und zugunsten des herrschenden Unternehmens begangen worden sein soll.

Die beherrschte Gesellschaft hatte ein Share Purchase Agreement (Geschäftsanteilskaufvertrag) zur Übertragung einer Beteiligung an eine Konzerngesellschaft des beherrschenden Gesellschafters abgeschlossen, der einen zu hohen, nicht marktgerechten Verkaufspreis von 34 Mio. € beinhaltete.

Auf Veranlassung des Minderheitsgesellschafters fasste die Hauptversammlung der beherrschten AG daraufhin einen Beschluss, Ansprüche gegen den Mehrheitsgesellschafter geltend zu machen, da auf dessen Veranlassung und mit dessen Einwirken das Vermögen der beherrschten Gesellschaft geschädigt worden sein soll. Bei dieser Beschlussfassung war der Mehrheitsaktionär von der Stimmabgabe gem. § 136 Abs. 1 AktG ausgeschlossen. Einige Monate später sollte sodann in einer weiteren Hauptversammlung beschlossen werden, Haftungsansprüche gegen Vorstand und Aufsichtsrat der beherrschten Gesellschaft auf der Grundlage desselben Sachverhaltes geltend zu machen. Da der Wortlaut des § 136 Abs.1 AktG nicht berührt zu sein schien (denn dieser zielt wörtlich in diesem Fall nur auf Anspräche gegen Aktionäre), beharrte der beherrschende Aktionär auf Wertung seiner Stimmabgabe. Hiergegen zog der Minderheitsaktionär mit positiver Beschlussfeststellungsklage ins Feld.

BGH: Stimmverbot auch dann, wenn das Ausmaß des Interessenkonflikts für den beherrschende Aktionär identisch ist zum Fall der Anspruchsstellung gegen den Aktionär selbst, und deshalb nicht erwartet werden kann, dass er im Interesse der Gesellschaft abstimmen wird.

Das Richten in eigener Sache soll dem beherrschenden Aktionär in diesem Fall versagt sein.

Im faktischen Konzern (Beherrschung einer GmbH oder AG ohne Abschluss eines Beherrschungsvertrag) ergebe sich zudem, jedenfalls für die Rechtsform der Aktiengesellschaft, ein besonderes Haftungskonzept für Organe beherrschter Aktiengesellschaften aus §§ 311ff, 318 AktG. Diese müssen derartige Pflichtverletzungen zugunsten des Mehrheitsgesellschafters offenlegen (vgl. § 318 AktG). Die Verletzung dieser Offenbarungspflicht ist wiederum selbst haftungsbewehrt und führt zu einer Gesamtschuld mit dem Hauptaktionär. Im Hinblick auf dieses Haftungskonzept entspräche nach Auffassung der obersten Richter ein pflichtverletzendes Handeln des Vorstands zugunsten des Mehrheitsgesellschafters wesensmäßig einer Pflichtverletzung des Mehrheitsaktionärs selbst. In diesem Fall soll nur durch ein Stimmverbot des Mehrheitsaktionärs nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 AktG sichergestellt werden können, dass im Interesse der Gesellschaft und damit mittelbar der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter Ersatzansprüche gegen die Organe der beherrschten Gesellschaft auch effektiv durchgesetzt werden können.

Übertragbarkeit auf das Recht der GmbH?

Das GmbH-Recht kennt keine den Regelungen der §§ 311ff, 318 AktG entsprechenden Normen zur Ausdifferenzierung der Interessen in faktischen Beherrschungssachverhalten. Aufgrund der mitgliedschaftlich orientierten Ausgestaltung des Beteiligungsverhältnisses im GmbH-Recht und der Weisungsgebundenheit der Geschäftsführung einer GmbH lassen sich die Ausführungen zum Aktienrecht nicht auf das GmbH-Recht übertragen. Vielmehr können im Einzelfall aus der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sowie den zum GmbH-Recht im Besonderen dazu entwickelten Grundsätze Stimmverbote abgeleitet werden. Die Hinzuziehung anwaltlicher Beratung ist daher in solchen Fällen häufiger als gedacht notwendig, um in Konfliktfällen im Gesellschafterkreis den Überblick zu behalten.

Prüfung der rechtlichen Erfolgsaussichten eines Haftungsanspruchs bereits im Beschluss über die Geltendmachung des Anspruchs?

Zu diesem Punkt stellt der BGH unter Verweis auf die bereits zum GmbH-Recht ergangene Rechtsprechung nunmehr auch für die Aktiengesellschaft klar, dass es für eine wirksame Beschlussfassung nach § 147 Abs. 1 AktG ausreichend ist, wenn er im Einzelnen „umreißt“, worin die Pflichtverletzung und der Tatbeitrag des Vorstands oder Aufsichtsrats bestehen soll. Auf die Darlegung oder gar Prüfung der Erfolgsaussicht der Anspruchsverfolgung darf es zur Effektivierung der Anspruchsverfolgung nicht ankommen. Diese Prüfung bleibt dem eigentlichen Haftungsverfahren vorbehalten.


Ein Fachbeitrag aus dem DIRO-Netzwerk

Beitrag veröffentlicht am
11. Januar 2024

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